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Eine Linie, zwei Welten: Vom Südwestkorso zum Marheinekeplatz

Eine Linie, zwei Welten: Vom Südwestkorso zum Marheinekeplatz

Wir fahren jeden Monat mit einer Linie der BVG durch die Stadt. Dabei porträtieren wir zwei Kieze entlang der Strecke. Folge 104: vom Südwestkorso zum Marheinekeplatz. Künstlerischer Kiez und prachtvoller Platz Südwestkorso Der Begriff Korso leitet sich vom italienischen Wort „corso“ ab, das ursprünglich das Wettrennen reiterloser Pferde beschrieb. Und in der Tat spielten Pferde bei der Konzeption des Südwestkorsos eine Rolle: Anfang des 20. Jahrhunderts plante der Kaufmann, Immobilien- und Bauunternehmer Georg Haberland eine Verbindung vom Bahnhof Wilmersdorf (heute: Bundesplatz) zur Domäne Dahlem. Schwarzwaldstraße sollte diese Südwestachse ursprünglich heißen. Wie damals nicht unüblich, äußerte Kaiser Wilhelm II. einen persönlichen Wunsch: Den breiten Mittelstreifen sollte ein Reitweg zieren. Jedoch hatte dieser nur eine kurze Dauer, bereits 1911 ersetzte ihn eine Straßenbahntrasse, die später zugunsten von Parkplätzen aufgegeben wurde. Fragt man Berliner*innen heutzutage, was sie mit dem Südwestkorso assoziieren, fällt in der Regel der Name: Kleines Theater, das in diesem Jahr das 50. Jubiläum feiert. Hier nahm Anfang der 1980er-Jahre beispielsweise die Karriere des Schauspielers Ulrich Matthes Fahrt auf. Seit 2006 leitet Karin Bares das Haus. Sie schätzt die inspirierende, aber geerdete Umgebung: „Der Kiez ist schon lange von Kunst und Kultur geprägt, prahlt aber nicht damit. Umgeben von über fünfzig Künstler-Ateliers, die man alljährlich bei einem Rundgang bestaunen kann, befindet sich das inzwischen über Berlin hinaus bekannte Theater in bester Gesellschaft. Es liegt ja auch unweit der Künstlerkolonie, der Christopher Isherwood in seinem Roman ,Goodbye to Berlin‘ ein Denkmal setzte.“

Das Bundesplatz-Kino wurde schon 1913 eröffnet.

Ein cineastisches Viertel Ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft, in der Stubenrauchstraße 47, gründete Harry Frommermann Ende der 1920er-Jahre in seiner Wohnung die Comedian Harmonists. Frommermann besaß weder eine musikalische noch eine akademische Ausbildung. Er war aber großer Fan des US-amerikanischen Vokalensembles The Revelers. Die ersten Proben fanden noch in der Wohnung statt, bevor die Schauspielerin Asta Nielsen den jungen Männern einen Probenraum in der Kaiserallee besorgte. Wenige Blocks weiter befindet sich das Grab eines Weltstars, dessen Karriere auch in der Weimarer Republik begann: Marlene Dietrich, der 1929 mit dem Film „Der blaue Engel“ der Durchbruch gelang, war gebürtige Schönebergerin. In Charlottenburg besuchte sie die Schule, das heutige Goethe-Gymnasium, das sie jedoch ohne das Abitur in der Tasche verließ. Nach einem kurzen Zwischenspiel zu Beginn der 1920er-Jahre erhielt sie erste Theaterrollen am Großen Schauspielhaus. Parallel begann sie 1923 vor der Leinwand zu stehen. So drehte sie beispielsweise in den als „Klein Hollywood“ bezeichneten Studios in Weißensee.

Das Grab der Dietrich liegt nicht weit vom Südwestkorso.

Ende der 1920er-Jahre ging sie in die USA, wo sie aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb. Später lebte sie in Paris. Die Sängerin und Schauspielerin Ute Lemper erinnerte sich daran, dass die Dietrich ihr in einem Telefonat die Sehnsucht nach ihrer Geburtsstadt schilderte und hinzufügte, dass sie jedoch nur im Sarg zurückkehren werde. Cineastische Bedeutung findet sich auch einige hundert Meter weiter östlich: Bereits seit 1913 ist das Bundesplatz-Kino in Betrieb. Es stellt mittlerweile ein Arthouse-Kino mit einem anspruchsvollen Programm dar. Anspruchsvoll, aber mit viel Spaß geht es in der Villa Goldoni zu. In dem ehemaligen Möbelhaus lernen bereits Kinder, wie sie sich vor der Kamera oder auf der Bühne bewegen. Marheinekeplatz Eine knappe halbe Stunde später steuert der Bus die Haltestelle Marheinekeplatz an, deren Blickfang die Markthalle XI darstellt. Ende des 19. Jahrhunderts ersetzten berlinweit 14 ähnliche Gebäude die offenen Märkte. Die ersten vier entstanden zwischen 1883 und 1886 in Mitte.

Die Marheineke-Halle bietet schmackhafte Zutaten für kulinarisch Interessierte.

Die sogenannte Marheineke-Halle entstand nach Plänen von Hermann Blankenstein und August Lindemann 1892. Im Ersten Weltkrieg fungierte sie als Suppenküche. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie schwer zerstört, die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau erfolgte 1953. Heute bieten mehr als 50 Stände unter anderem Bioprodukte aus der Region sowie Spezialitäten aus dem mediterranen Raum ein. Am Wochenende weitet sich der Handel auf den Marheinekeplatz aus: Jeden Samstag und Sonntag findet ein Flohmarkt statt. Ebenfalls direkt am Platz befindet sich ein weiteres Wahrzeichen: In der 1908 im neuromanischen Stil fertiggestellten Passionskirche veranstaltet beispielsweise die Finnische Gemeinde Berlin ihre Gottesdienste. Regelmäßig findet hier auch Kulturveranstaltungen, beispielsweise Lesungen und Konzerte statt.

Das Portal der Passionskirche.

Warum die Gegend um den Marheinekeplatz so eine beliebte Wohngegend darstellt, wird schnell deutlich: Die Gründerzeitbauten waren bis in die 1980er-Jahre zum Teil noch besetzt und wurden anschließend aufwendig saniert. Helle Fassaden und ein riesiger Kinderspielplatz im Zentrum des Chamissoplatzes stehen für hohe Wohnqualität. Zahlreiche Restaurants und Bars bilden das i-Tüpfelchen des Kiezes. Text und Fotos: Ronald Klein

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