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Eine Linie zwei Welten: Vom Böhmischen Dorf zum Berliner Prater

Eine Linie zwei Welten: Vom Böhmischen Dorf zum Berliner Prater

Wir fahren jeden Monat mit einer Linie der BVG durch die Stadt. Dabei porträtieren wir zwei Kieze entlang der Strecke. Folge 111: von S+U Neukölln zum S Plänterwald. Lahnstraße/U-Bahnhof Neukölln Unmittelbar an der Bushaltestelle wirkt Neukölln in etwa so, wie sich Touristen den Bezirk vorstellen: Autos rauschen auf der Karl-Marx-Straße vorbei, die Fußgänger*innen hetzen über das Trottoir. Urbanität eben. Doch lohnt es sich, die Gleise der Ringbahn in Richtung Norden zu unterqueren und einen Blick abseits der Hauptstraße zu werfen.

Der Neuköllner Körnerpark.

Westlich befindet sich der 2,4 Quadratkilometer große, einem Schlosspark ähnelnde Körnerpark. Benannt wurde die Grünfläche nach Franz Körner (1838–1911), dem zahlreiche Kiesgruben in Rixdorf, heute: Neukölln, gehörten und der die Fläche Berlin überließ. Archäologische Berühmtheit erlangte das Gelände 1912, als ein Grab aus der Zeit der Völkerwanderung im 4. Jahrhundert entdeckt wurde. Dörfliches und urbanes Flair Tür an Tür Östlich der Karl-Marx-Straße verfliegt das urbane Flair komplett und wird abgelöst durch ein pittoreskes, dörfliches Ambiente. An der Richard- und Kirchstraße entstand 1737 Böhmisch-Rixdorf – ein Refugium protestantischer Geflüchteter aus Böhmen, in unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes Deutsch-Rixdorf. Beide schlossen sich in den 1870er-Jahren zu Rixdorf zusammen, erhielten 1899 das Stadtrecht. Die Umbenennung in Neukölln im Jahr 1912 ist ein frühes Beispiel für Städtemarketing. Der Name Rixdorf schien damals verbrannt, da er ein Synonym für „Frivolität“ bedeutete.

Die Rixdorfer Schmiede aus dem 17. Jahrhundert.

Die kleinen Häuschen und Altbauten aus der Gründerzeit bilden ein beliebtes Wohnviertel. Der Schriftsteller und Fotograf Martin A. Völker entdeckte den Kiez vor gut 20 Jahren für sich: „Als ich Spandau verließ und in der Donaustraße eine Wohnung fand, fragten mich meine Freunde nach dem Warum. Wer zog damals schon freiwillig ins wild pochende Herz von Neukölln?“, betont der Künstler. „Wenig später fragte keiner mehr, viele junge Leute und Künstler wollten hierher. Der Richardkiez boomte. Mehr Diversität ist in Berlin kaum zu erleben. Im Richardkiez hast du das Dörfliche und Städtische gleichzeitig im Blick, dazu echtes Berliner Hinterhoffeeling, den altbürgerlichen Vorderhauscharme und die jugendliche Rebellion. Das bemerkte schon David Bowie, der dem Bezirk und dem flirrenden Viertel 1977 auf dem Album „Heroes“ ein musikalisches Denkmal setzte. Viele meiner Fotomotive halten das Abgerockte, die an New York erinnernde melancholische Coolness fest. Zu erleben ist im Richardkiez aber auch das Familiäre und die kulturübergreifende Hilfsbereitschaft. Mein Kiez bietet die kernigste Innenstadt und die Stadtoase gleich mit. Der Comenius-Garten in der Richardstraße ist eine Mischung aus Naturlehrpfad und Meditationsort. Hier lade ich meinen Akku auf, um ihn anschließend in den vielen Cafés, Restaurants und Galerien in der Nähe wieder genussfreudig zu entladen“, sagt Martin A. Völker. Jedoch sah es im Kiez nicht immer so aus: In der Uthmannstraße wurden einige Szenen der „Blechtrommel“ gedreht, da Neukölln zu dem Zeitpunkt noch so wirkte wie Danzig vor einigen Jahrzehnten. Plänterwald Nach 20 Minuten Busfahrt ist die Endhaltestelle Plänterwald erreicht. Bis zur Grünanlage ist jedoch noch ein längerer Fußweg notwendig, den Ensembles von Wohnhäusern und eine Schule säumen. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der 89 Hektar große Forst am Spreeufer angelegt und forstwirtschaftlich genutzt. Der Name verweist darauf, dass in einem Dauerwald Bäume unterschiedlichen Alters nebeneinander wachsen und gefällt, also gepläntert, werden.

Blick vom nördlichen Teil des Plänterwalds auf die Insel der Jugend.

Pogo in der Baumschule In der DDR entstand hier Ende der 1960er-Jahre der Vergnügungspark Kulturpark Plänterwald, der nicht nur Familien magisch anzog, sondern zehn Jahre später zu einem wichtigen Treffpunkt der Punk-Szene Ost-Berlins avancierte. Anders als am Alexanderplatz waren die jungen Männer und Frauen hier weniger den Repressionen des Staates ausgesetzt. Kurz nach dem Mauerfall fand der vormals volkseigene Vergnügungspark ein jähes Ende, um schließlich als Spreepark 1992 privatisiert fortgeführt zu werden. Norbert Witte übernahm Attraktionen des ehemaligen Pariser Themenparks Mirapolis. Für einige Zeit schien es wieder einen Berliner Prater zu geben. Leider währte dies nur kurz: Auch Achterbahn und Westerndorf reichten nicht aus, um kostendeckend zu agieren. Die Spreepark GmbH & Co. KG meldete 2001 Insolvenz an, der Park versank in einem Dornröschenschlaf. Dieser soll nun ein Ende haben. Das durch Theodor Fontane bekannt gewordene Eierhäuschen ist wiedereröffnet worden. Weitere Abschnitte sollen folgen …

Das Eierhäuschen am Plänterwald ist wieder geöffnet.

Text und Fotos: Ronald Klein

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